Brief an eine Freundin oder einen Freund, die oder der Ordination erwägt

Bhikshuni Thubten Chodron, Sravasti Abbey, USA

Liebe Dharma-Freundin, lieber Dharma Freund,
ich habe Deinen Brief erhalten. Du möchtest gerne ordiniert sein. Du klingst dabei sowohl glücklich als auch ängstlich. Es ist sehr wertvoll, Nonne oder Mönch zu sein und je besser Dein Geist darauf vorbereitet ist, desto leichter wird der Übergang vom Laien- zum Ordiniertenleben sein. Deshalb schreibe ich Dir einige Fragen, über die du reflektieren kannst, in der Hoffnung, dass sie Dir helfen werden, tief nachzudenken und somit mögliche Hindernisse in Deinem Geist zu beseitigen. Als ich meinen spirituellen Meister um Erlaubnis bat, ordiniert zu werden, sagte er: „Ja, aber warte eine Weile“. Er ließ mich fast eineinhalb Jahre warten. Ich war ungeduldig, ordinieren zu können und wollte nicht warten aber jetzt rückblickend war es sehr gut, dass ich es getan habe. In dieser Zeit habe ich immer wieder über die Themen nachgedacht, die in diesen Fragen umrissen werden. Das war für mich ausgesprochen hilfreich, so dass ich sie nun mit Dir teilen möchte. Wenn Du über diese Fragen nachdenkst, ist es wichtig, so ehrlich wie möglich zu sein und sie als Werkzeug zu benutzen, um Deine eigenen Gedanken und Gefühle zu entdecken. Manchmal werden Deine ehrlichen Antworten nicht so sein, wie Du sie gerne hättest oder nicht so, wie Du denkst, dass Dein spiritueller Meister sie gerne hätte. Wie dem auch sei, es gibt hier keine richtigen oder falschen Antworten. Je besser Du Dich mit all Deinen Stärken und Schwächen kennst desto besser wirst Du fähig sein, Dich auf die Ordination vorzubereiten.

  1. Warum möchtest Du ordiniert sein? Was ist Deine tiefste Motivation, der tiefste Grund für Deinen Wunsch nach Ordination? Was bedeutet Ordination für Dich? Gibt es schwierige Beziehungen, Situationen oder Gefühle, von denen Du versuchen möchtest, frei zu sein? Ist Ordination ein Weg, sie zu vermeiden, oder ein Weg, sich ihnen zu stellen?
  2. Wie passt ordiniert zu sein in Deine Dharma-Praxis? Wie wird es Dir helfen? Welche Dinge der Ordination werden schwierig für Dich sein?
  3. Eine unserer Regeln ist es, dass wir dem Dharma-Rat unseres Abtes oder Äbtissin, Lehrerin oder Lehrers folgen. Gibt es einen Lehrer oder eine Lehrerin, zu dem oder der Du eine starke Verbindung hast? Es ist wichtig sein Training, unter qualifizierter und fähiger Anleitung durchzuführen – nicht einfach umherzuwandern, wo auch immer Dein eigener Sinn Dich hinträgt.
  4. Als Sangha-Mitglieder sind wir Teil einer größeren spirituellen Gemeinschaft. Wir sitzen in Reihenfolge unserer Ordination und respektieren diejenigen, die vor uns ordiniert wurden. Wir sollten auch auf die Ratschläge und Hinweise der älteren Mönche und Nonnen hören, weil sie mehr Erfahrung als Ordinierte haben. Gibt es einen Teil in Dir, der Schwierigkeiten damit hat, jene zu respektieren, die ihrer Ordination nach älter sind? Wie könntest Du an dieser Einstellung arbeiten, so dass Du ihre Anleitung wertschätzen und den Nutzen ihrer Erfahrung und Sorge ernten kannst?
  5. In welcher der Buddhistischen Traditionen wird Deine Hauptpraxis liegen? Theravada? Chinesisch? Tibetisch? Es ist wichtig zu wissen, welche Richtung Du in Deiner Praxis nehmen wirst. Anderenfalls könntest Du so enden, dass Du eine Mischung aus verschiedenen Dingen machst, die Dich aber nirgendwohin führen.
  6. Um in der Lage zu sein, unsere Ordination aufrecht zu halten, benötigen wir Umstände, die für die spirituelle Praxis förderlich sind. Wo wirst Du leben, nachdem Du die Ordination genommen hast?
  7. Es gibt keine größere Organisation, die westliche Ordinierte unterstützt und sich um sie kümmert. Wir sind für unsere finanzielle Situation, Krankenversicherung, usw. selbst verantwortlich. Sich über diese Dinge Sorgen zu machen, kann uns von der Praxis ablenken, so dass es besser ist, diese Dinge vor der Ordination sicher geklärt zu haben. Wirst Du ein Einkommen oder finanzielle Unterstützung haben? Hast Du eine Krankenversicherung?
  8. Hast Du irgendwelche sozialen Verpflichtungen, die Du vor der Ordination klären musst (Schulden, Scheidung, sich um die alternden Eltern oder die eigenen Kinder zu kümmern)? Hast Du ernsthafte gesundheitliche Probleme, die Deine Praxis, Deine Fähigkeit in einer Gemeinschaft zu leben oder Deine Ordination aufrecht zu halten, beeinflussen werden?
  9. Wir haben Jahre und Lebenszeiten an Konditionierung hinter uns. Es ist wichtig, dies sorgfältig anzuschauen und zu lösen. Deshalb befasst sich die nächste Gruppe der Fragen mit den sozialen Werten und Zielen, die zu früheren Zeiten in uns eingepflanzt wurden. Wünschst Du Dir, Erfolg in Deiner Karriere zu haben? Stell Dir vor, Du triffst Deine alten Freunde nach einigen Jahren. Sie haben Karriere gemacht, haben Erfolg, eine angenehmes Leben und sind gesellschaftlich anerkannt. Wie wirst Du Dich fühlen? Wirst Du Dich wie ein nützliches Mitglied der Gesellschaft fühlen, auch wenn Du keine fassbaren Dinge hervorgebracht hast, die von der Gesellschaft wertgeschätzt werden?
  10. Ordination umfasst die Entwicklung unserer Fähigkeit, mit den eigenen Gefühlen umzugehen, ohne die emotionale Unterstützung von einem Partner zu erhalten. Es beinhaltet auch den Umgang mit unseren sexuellen Energien. Welche Gefühle hast Du in Bezug auf Heirat und Familie? Hättest Du gerne einen lebenslangen Partner, mit dem Du Dein Leben teilen kannst? Ist es schwierig für Dich, Deine emotionalen oder sexuellen Bedürfnisse an andere zu kontrollieren? Selbst, wenn Heirat und Familie jetzt nicht so interessant erscheinen, was wirst Du darüber empfinden, wenn Du älter bist? Häufig geraten Frauen in der Mitte ihrer Dreißiger und Männer in ihren späten Vierzigern in eine Krise und denken: „Wenn ich noch heiraten und Kinder haben möchte, dann muss ich es jetzt tun. Anderenfalls wird mein Alter es schwierig machen, Familie zu haben“. Stell Dich Dir in diesem Alter vor und untersuche, wie Du Dich fühlen könntest.
  11. Wie wirst Du Dich fühlen, wenn Du alt bist und keine Kinder, Enkelkinder, zu Hause, Sicherheit, usw. hast? Wie könnte Dein Leben im Alter als Nonne oder Mönch aussehen? Wie als Laie?
  12. Zwei unserer Regeln sind es, die Kennzeichen einer Laienperson abzulegen und die Zeichen einer ordinierten Person anzunehmen. Dies beinhaltet, den Kopf zu rasieren, Roben zu tragen und unsere Gelübde zu halten wo auch immer und mit wem auch immer wir zusammen sind. Bist Du leicht von dem zu beeinflussen, was andere Personen über Dich denken – egal ob sie Fremde, Familie, oder Freunde sind? Wie wirst Du Dich fühlen, wenn Dich Leute auf der Straße anstarren, weil Du Roben trägst? Wie wirst Du Dich fühlen, wenn Deine Familie und Deine Freunde sagen, dass Du von der Realität flüchtest oder dass Du Dein Leben verschwendest, wenn Du ordiniert bist? Wie wirst Du Dich fühlen, wenn Deine Eltern verärgert oder verletzt sind, weil Du kein „normales“ Leben führst?
  13. Hast Du Deinen Eltern und engen Freunden davon erzählt, dass Du erwägst Nonne oder Mönch zu werden? Fühlst Du Dich wohl mit der Art und Weise, wie sie reagiert haben oder fühlst Du Dich schuldig, verletzt oder ärgerlich? Es ist sehr wichtig diese Emotionen durchzuarbeiten. Auch ist es wichtig Deinen Eltern Liebe zu geben. Sie befürchten oft, dass ihre Kinder sie ablehnen werden, oder dass sie ihre Kinder nie mehr wiedersehen werden, wenn er oder sie die Ordination nimmt. Wir müssen ihren Bedürfnissen gegenüber sensibel sein und ihnen versichern, dass wir sie lieben, dürfen uns aber gleichzeitig nicht von ihren Emotionen und Wünschen vereinnahmen lassen. Welche Meditation kannst Du durchführen, um Dir zu helfen, mögliche Anhaftung oder Ärger, in Bezug auf Deine Familie zu überwinden.
  14. Bist Du darauf vorbereitet in einer Gemeinschaft zu leben? Dies beinhaltet aufzugeben, dass zu tun, was Du willst und wann Du es tun willst. Du musst den Regeln der Gemeinschaft folgen. Du musst mit Leuten zusammen leben und arbeiten, die Du Dir normalerweise nicht als Freunde aussuchen würdest. Wie fühlst Du Dich, wenn Dein Ego in dieser Weise konfrontiert wird?
  15. Welches ist Deine stärkste konflikterzeugende Einstellung: Anhaftung, Ärger, Unwissenheit, Neid, Stolz, Zweifel? Wenn sie unentdeckt bleibt, wird sie Probleme in Deiner Praxis erzeugen und wird Dich Deine Ordination anzweifeln lassen. Erkenne, welche die stärkste von ihnen ist und fange an, die Gegenmittel in Deiner Meditation anzuwenden.
  16. Um die Ordination während der Ordinationszeremonie tatsächlich zu erhalten, musst Du zu einem gewissen Grad den Entschluss gefasst haben, vom Daseinskreislauf befreit zu sein und Befreiung zu erlangen. Um danach in der Lage zu sein die Ordination aufrecht zu erhalten, ist es notwendig diese Motivation kontinuierlich zu kultivieren. Meditierst Du regelmäßig über die Nachteile des Daseinskreislaufs und seine Ursachen oder gibt es einen Teil Deines Geistes der Widerstände hat darüber nachzudenken? Die acht weltlichen Anliegen sind eine der Haupthindernisse um die Entschlossenheit zu entwickeln frei zu sein. Wir haben Anhaftung an 1) Geld und materiellen Besitz, 2) Lob und Anerkennung, 3) guten Ruf und das eigene Image, 4) Vergnügungen durch die fünf Sinnesobjekte. Wir haben Aversion gegen, 5) Geld und materiellen Besitz nicht zu erlangen oder ihn zu verlieren, 6) Kritik und mangelnde Wertschätzung durch andere 7) schlechten Ruf und Image, 8) unangenehme Erfahrungen durch die fünf Sinne. Welche von diesen sind für Dich die stärksten? Bist Du mit den Gegenmitteln für sie vertraut? Wendest Du diese Gegenmittel an? Hast Du das Gefühl, dass die Aufgabe dieser acht geistigen Zustände Dich unglücklich machen würde?
  17. Wie fühlst Du Dich damit, durch die Härten des Ordiniertenlebens zu gehen? Wie kannst Du Deine spirituellen Ziele stärken und sie von Herzen zum Mittelpunkt Deines Lebens machen? Ordiniertenleben, genauso wie Laienleben ist nicht immer einfach. Es werden Probleme auftauchen, Höhen und Tiefen. Wenn Zeiten der Tiefen kommen, neigen die Personen dazu, ihre Ordination dafür verantwortlich zu machen. Sie denken: „Meine Ordination ist das Problem. Wenn ich nicht Nonne oder Mönch wäre, dann hätte ich diese Probleme nicht.“ Was sind die Vorteile der Ordination? Bist Du zutiefst von ihnen überzeugt? Es ist wichtig im Vorhinein ein klares Verständnis von diesen Dingen zu haben und den Mut aufzubringen, körperlichen, emotionalen und spirituellen Schwierigkeiten in Deinem Leben entgegen zu treten.
  18. Gibt es einen Teil Deines Geistes, der durch die Ordination Respekt von anderen erhalten möchte? Erwartest Du, dass andere dich gut behandeln? Dass sie Dir Dinge geben? Dass sie Dir Respekt erweisen? Oder bist Du bereit, Diener für andere zu sein und somit die altruistische Absicht zu kultivieren.
  19. Welches sind Deine Bedürfnisse und Befürchtungen nach der Ordination? Welche Ressourcen hast Du (innere und äußere), die Dir helfen, mit ihnen umzugehen? Mit welchen Dingen fühlst Du Dich sicher? Bei welchen Dingen fühlst Du Dich unsicher?

Dies sind einige Dinge, um tief darüber nachzudenken. Jeder Punkt hat mehrere Fragen und es kann hilfreich sein, die Antworten aufzuschreiben. Lege sie dann für einige Wochen beiseite. Dann lese sie noch mal und mache Anpassungen. Über diese Fragen immer und immer wieder zu reflektieren wird mit der Zeit helfen, Unklarheit in Deinem Geist und mögliche Hindernisse für Deine Ordination aus dem Weg zu räumen. Sie werden Dir helfen durch die emotionale Euphorie des Wunsches nach Ordination zu gehen und Deinen Geist besser zu verstehen.

Ich wünsche Dir alles Gute auf dem Weg zur Erleuchtung und bete, dass Deine Weisheit, Dein Mitgefühl, und Deine Fähigkeiten anwachsen, sodass Du Glück an viele Lebewesen geben kannst.

Im Dharma,
Deine Thubten Chodron

Mit Erlaubnis der Ehrw. Thubten Chodron,
Äbtissin von Sravasti Abbey
Newport, WA, USA
http://sravastiabbey.org/
Quelle: Preparing for Ordination

Übersetzt aus dem Englischen von Sramanera Jampa Tsöndrü (Andreas Ansmann).

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