Ein Hausloser — Ehrw. Thich Nhu Dien
In Indien hat es vor 2555 Jahren, bevor Buddha geboren wurde, im hinduistischen Glauben bereits seit tausenden Jahren das gewohnte Bild eines Asketen gegeben, der familienlos lebte und umherwanderte.
Als Buddha nach der ersten Drehung des Dharmarades im Rehgarten seinen Sangha formte, stieg die Zahl seiner Schüler schnell auf 1.250. In die Hauslosigkeit zu gehen war damals eine Ehre. Da Siddhartha ein Prinz war, der sich den Weg der Hauslosigkeit ausgesuchte hatte, folgten ihm viele andere Prinzen aus den Nachbarländern, so z.B. Ananda oder Nanda. Ein Hausloser ist jemand, der nach der Wahrheit sucht, vom Leid befreit werden möchte und anderen Lebewesen helfen möchte, aus dem Wiedergeburtenkreislauf zu entkommen – nicht jemand, der versucht aus dieser Welt zu flüchten.
Ein Hausloser wurde damals als Bettler oder eine Bettlerin bezeichnet, der oder die die Maras und das Unheilsame besiegt hatte. Dies bedeutet, dass ein buddhistischer Mönch oder eine Nonne den Himmel und die Erde als das Zuhause annimmt und die Laien als Nahrungs- und Bekleidungsgeber akzeptiert. Wichtig ist aber vor allem die Lehre des Buddha, die zur Befreiung führt.
Es ist der Weg, den man in voller Achtsamkeit und Anstrengung begeht. Ein Hausloser soll sich darin üben, den Geist zu schulen und dadurch unheilsame Gedanken zu vernichten und heilsame Gedanken zu kultivieren.
Als der Buddhismus nach China kam, wurde der Begriff „Hausloser“ breiter definiert. „Hausloser“ ist demnach jemand, der oder die das Weltliche, das geistig Befleckte und die drei Welten der Geisteshindernisse verlässt. Die weltliche Hauslosigkeit bedeutet, die Familie, den Ehemann, die Ehefrau, die Kinder, die Großeltern zu verlassen. Darin zu verweilen wird als leidvoll angesehen. Man bleibt ständig dem Kreislauf der Wiedergeburten unterworfen. Daher muss ein Hausloser sich von all diesen Hindernissen befreien und trennen. Das ist die erste wichtige Bedingung eines Hauslosen. Diese Tradition wird bis heute in vielen asiatisch-buddhistischen Ländern beibehalten.
Die zweite wichtige Bedingung ist, dass ein Hausloser im Zölibat leben muss und nicht von der Familie abhängig sein soll. Eine Familie zu haben ist nichts Schlechtes oder Falsches; doch muss man erkennen, dass es viele Hindernisse auf dem Weg der Befreiung mit sich bringt. Man bleibt geistig befleckt und es ist sehr leidhaft.
Die dritte und letzte Bedingung ist der Entschluss, aus den drei Welten der Geisteshindernisse (der Welt der Sinneslüste, der Welt der Formen und der Formlosen Welt) zu entkommen.
Wenn man noch im Kreislauf der Wiedergeburten ist, bedeutet es, dass man sich noch in den sechs Daseinsbereichen und den drei Welten der Geisteshindernisse befindet. Ein Hausloser, wenn er/sie die Gelübde genommen hat, den Lebewesen zu helfen, wird nach dem Tod wieder auf dieser Welt geboren. Ansonsten wird er oder sie ins Nirwana eingehen oder im Reinen Land wieder geboren werden.
In die Hauslosigkeit zu gehen ist ein Verdienst. Deshalb haben damals nicht wenige Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen aus Indien, China, Vietnam, Japan, Korea und Tibet ihren Thron verlassen, um hauslos zu werden. Wenn sie auf ihrem Thron wirklich alles haben könnten (Macht und Besitz) und es kein Leid mehr gäbe, dann hätten sie ihren Thron bestimmt nicht aufgegeben, um alles gegen ein Leben in der Hauslosigkeit einzutauschen. Im Vajraya-Sutra sowie in vielen anderen Sutren der Mahayana-Schulen wird „in die Hauslosigkeit gehen“ als der höchste Verdienst angesehen.
Nach der Ansicht von Meister Shiran aus der japanischen Reines Land Schule (13. Jahrhundert), können alle Menschen, ob Ordinierte oder Laien, noch in diesem Leben die Buddhaschaft erlangen. Daher wurde das Ordensleben in dieser Tradition nicht mehr mit dem Zölibat verbunden. Die Kultur-Revolution durch den Kaiser Meiji im Jahr 1868 hat dazu geführt, dass fast 90 % der japanischen Ordinierten nicht mehr dem Zölibat (d.h. Ehelosigkeit) verpflichtet sind. In China, Korea, Tibet und Vietnam wird die Tradition des Zölibats bis heute fortgeführt.
Ein kleiner Teil der tibetischen, koreanischen und vietnamesischen Ordinierten folgen den Japanern; doch sie werden oft von den Laien nicht so hoch angesehen. Die meisten Leute sind immer noch der Meinung, dass die Ordinierten ein reines und von Sexualität befreites Leben führen sollen. Denn gerade die Sinneslust ist die Ursache von Leid und Wiedergeburten im Daseinskreislauf.
Der Buddhismus ist durch viele Traditionen und Formen nach Deutschland gekommen. Viele Westler sind nach Asien gegangen, um dort ordiniert zu werden und haben Erfolg damit gehabt. So z.B. der Deutsche Nyanaponika in Sri Lanka, der Amerikaner Bodhi oder der Australier A. Janta.
Der Buddhismus in Deutschland sollte meiner Ansicht nach eigene Formen haben. Es soll ein deutscher Buddhismus werden und nicht alle Formen aus Asien sollten übernommen werden. Früher haben die indischen Mönche den Buddhismus in China, Tibet und Vietnam verbreitet. Sie haben buddhistisches Gedankengut von der Befreiungslehre in diese Länder gebracht. Sie haben ihre Aufgaben erfüllt und sind von dieser Welt gegangen. Überlebt hat die buddhistische Lehre und das Praxisstreben der Einheimischen.
Ich hoffe, dass es in Deutschland viele Ordinierte geben wird, mit charakteristischen deutschen Merkmalen – von der Lebensweise bis hin zu den Lehrauffassungen. Auch hoffe ich sehr, dass es noch mehr deutsche Pagoden und Tempel geben wird, sowie die Erschaffung einer typisch deutschen Buddha Statue. Erst dann kann man sagen, dass die buddhistische Lehre im kulturellen Leben der Einheimischen tiefe Wurzel geschlagen hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Ehrw. Thich Nhu Dien ist Gründerabt der Pagode Viengiac in Hannover